25.04.2024

Wie wird man Ghostwriter?

 

Wie wird man Ghostwriter? Anfrage einer Hörerin nach einem Interview mit dem Berliner Radiosender Star FM, das in den USA geführt wurde.

Liebe Frau …,

indessen ist es Nachmittag in Berlin.

Also: Schreiben können sollte man. Dafür braucht man Training. Sie kennen das: Sie sitzen vor dem Papier, und Ihnen fällt nichts ein. Ich bin nicht der Meinung, dass man nur Talent braucht.

Wenn man es hat, dann entstünde ohne Mühe sogleich ein guter Text. Es gibt eben Techniken: Rückblicke, Einstiege, die Art, wie Tempo bei einer Verfolgungsjagd erzeugt wird. Also muss geübt werden. Das mache ich während des Schreibens auch. Immerzu.

Hinzu kommt, dass es ganz gut ist, sich für Menschen zu interessieren, neugierig zu sein und ein bisschen herumzureisen.

Sie lernen Eigenarten kennen – und merken auch, wann etwas vollkommen unglaubwürdig ist, ob bei der Schilderung im Zigarettenladen an der Ecke oder über den Alltag in Manila.

Die Ferne hilft, wenn von Reisen berichtet wird – oder allein dann, wie es im Flughafen oder in der Maschine zugeht, hoch über den Wolken, wenn es unten regnet, oben die Sonne in die Kabine fällt.

Man muss fleißig sein. Romane leben von Details. Da berichtet jemand von einer Telefonzelle irgendwo in der Schweiz 1991. Wie sahen die aus? Fielen dort die Rappen und Franken genauso im Apparat drinnen auf Metall wie das in Deutschland war?

Außerdem hat man noch an der Drehscheibe gearbeitet, bis die Finger wund waren, wenn in den USA mit den vielen Zahlen am Ende die Leitung besetzt war. Wie bewegt sich jemand, der gerade seine Frau getötet hat? Schlägt er mit dem Fuß gegen einen Stein: Was meinen Sie? Empfindet er Schmerz, oder wird ihm etwas anders klar? Ist er so erdrückt, dass er den Schmerz nicht mehr empfindet?

Für 200 Normseiten schlage ich etwa 10 000 mal nach. Ich muss mir viel vorstellen können, Obduktionen, Morde, Familienfeste im Oberbayerischen – ohne auf Klischees aus dem Fernsehen zurückzugreifen.

Man muss sich selten, aber man muss das auch, mit Auftraggebern herumplagen, die nicht erzählen können, aber eine Geschichte, am besten einen Weltbestseller erwarten, sich dann beklagen, dass sie sich das anders vorgestellt haben, obwohl man selbst nicht genau wusste, welche Geschichte diese Leute haben. Je genauer die Vorstellungen sind, umso wohler fühlen sich alle. Daran muss man arbeiten.

Doch ist Ihnen das Manuskript als Krimi, als Roman, als Biografie am Ende mehr als gut gelungen, hätte bei jedem Verlag Bestand. Doch die Auftraggeber sind zuweilen eigen. Ich hatte das auch schon nach vier Monaten: Was wollen Sie? Das ist doch meine Geschichte. Das Honorar bezahle ich nicht.

Da hilft der Hinweis auf das Urheberrecht, auf das Vertragsrecht. Vielleicht hilft das auch nicht, wenn die Auftraggeber in Österreich oder in Italien sitzen. Es ist nicht einfach. Man muss eine dicke Haut haben, in der Lage sein, sich wochenlang von sozialen Kontakten zu verabschieden – und dennoch brauchen Sie die Mentalität eines 11-Jährigen, dem trotz allem Spaß macht, was er dort tut.

Ermutigend ist das, was ich schreibe, nicht. Aber in diesem Jahr war ich selbst als Ghostwriter in Rom, Wien, London, Dublin, Oslo, zweimal in Virginia, in vier Wochen Reise ich nach Vancouver, in zehn Wochen nach Jerusalem. Das sind die guten Seiten des Berufs. In Wien vor ein paar Wochen saß ich in einer fast leeren Wohnung, ging abends spazieren oder traf meinen Auftraggeber beim Bier. Das ist alles sehr schön. Die Tage können lang sein. Ich gönne mir einen Mittagsschlaf. Man ist versorgt.

Doch: Beginnen Sie als Journalistin. Sie kommen herum, haben Kontakte zu Menschen und deren Geschichten, müssen das, was Sie erfahren, schnell und in Kurzform darstellen. Arbeiten Sie dann breiter, zum Beispiel mit Reportagen, für Zeitungen, für den Rundfunk. Das alles dient der Übung. Aber es vergeht Zeit (ich schreibe seit 37 Jahren). Wenn Sie sich die Zeit genommen haben, werden Sie dann Ihr Ziel erreicht haben.

Es gibt sicher Ghostwriter, die sagen, sie hätten eine flotte Schreibe und könnten für gutes Geld in kurzer Zeit 200 Seiten schreiben. Daran habe ich keinen Zweifel. Doch etwas Anspruch gehört zur Arbeit. Man sollte weniger Geschäftsfrau/Geschäftsmann sein, sondern sich am Briefkasten freuen können, wenn da ein Buch angekommen ist. Bei allem erscheint nirgendwo ihr Name. Doch ohne sie wäre das Werk in dieser Form nie auf die Welt gekommen.

Man darf eitel sein, dass es so ist.

Herzlichst aus Virginia,

Ihr Karl-Heinz Smuda